Gipsabguss nach einer Marmorbüste im Archäologischen Nationalmuseum Neapel (Inv. 6023). Die Marmorbüste ist eine kaiserzeitliche Kopie eines griechischen Originals vermutlich aus dem 2. Jahrhundert v. Chr.
Die Existenz der historischen Person „Homer“ ist heute noch fraglich: Weder die Herkunft noch die genaue Lebenszeit sind gesichert. Nichtsdestotrotz werden neben dessen Poesie auch vier verschiedene Typen an erhaltenen Porträts dem Dichter zugeordnet und weisen auf diesen hin. Im Mannheimer Antikensaal ist ein Gipsabguss des sogenannten Hellenistischen Blinden-Typus zu sehen. Es handelt sich dabei um den Abguss einer kaiserzeitlichen Marmorbüste, die sich bis 1787 in farnesischem Besitz in Rom befand. Das griechische Original im Stile des Späthellenismus lässt sich vermutlich auf das 2. Jahrhundert v. Chr. datieren.
Der 63 cm große Gipsabguss zeigt den Dichter mit individuellen Gesichtszügen, die jedoch rein fiktiv sind. Homer wird als Greis dargestellt, dessen leere Augen tief in ihren Höhlen liegen. Die ziellos in die Ferne umherblickenden Augen kennzeichnen die Blindheit, die mit Homer verbunden wird. Der Künstler des Porträts sowie der ursprüngliche Verwendungszweck bleiben dabei unbekannt. Gewiss ist jedoch, dass dem Dichter durch eine öffentliche Bildnisstatue ein hohes Maß an Verehrung zukam. Vor allem im Rahmen von religiösen Festen in der hellenistischen Zeit wurde der Dichtung große Relevanz zugemessen.
Auch bei namhaften Größen wie Schiller und Goethe fand das Porträt des damaligen Antikensaals Erwähnung. Im Reisebericht „Brief eines reisenden Dänen“ aus dem Jahre 1784 verglich Friedrich Schiller die nebeneinander stehenden Büsten von Homer und Voltaire folgendermaßen:
„Der Zufall hatte den blinden Homeruskopf und den Kopf des Herrn von Voltaire nebeneinander gestellt. – Ich weiß keine beißendere Satire auf unser Zeitalter. Voltaire – ich glaube, daß man das jezt in Deutschland laut sagen darf – Voltaire war ein wahrhaft großer Geist, aber warum war mir sein Kopf in dieser Gesellschaft so lächerlich?“ (Friedrich Schiller, Brief eines reisenden Dänen, hrsg. v. Friedrich Schiller (= Rheinische
Thalia 1), Leipzig 1787, S. 182)
Schiller stellte Homers Überlegenheit in den Vordergrund und auch Goethe stimmte in den Physiognomischen Fragmenten ein Loblied auf Homer an.